Die vergangenen fünf Wochen der jährlichen Schöpfungszeit waren eine Zeit des Eintauchens in die universellen Zusammenhänge und des Gewahrwerdens unserer liebevollen Beziehungen zum Schöpfer und Geschöpfen. Sie boten uns die Möglichkeit, Informationen und Inspirationen zu sammeln, um als Christinnen und Christen trotz aller Unwägbarkeiten mutig und zuversichtlich in die Zukunft zu blicken zu können. In den vielen Begegnungen, die ich während dieser Zeit hatte, wurde ich wiederkehrend mit einer Frage konfrontiert, die ich heute gerne mit Euch teilen und näher darauf eingehen möchte:
WAS KANN ICH ALS EINZELNER TUN?
Natürlich lässt sich auf diese Frage kein allgemeingültiges Patentrezept geben. Auch mir stellt sich diese Frage immer wieder und meine Suche nach einer stimmigen Antwort lässt sich mit der Trias
KONTEMPLATION + AKTION + MISSION
zusammenfassen. Gerne möchte ich an Hand dieses Dreischritts darstellen, weshalb gelebte Nachfolge auch in unserer Zeit nichts an Aktualität eingebüßt hat.
1. KONTEMPLATION
Kontemplation steht für das Schauen des Schöpfers und die Begegnung mit dem göttlichen Geheimnis. Neben den Sakramenten sind Gebet und Meditation die kraftvollsten Wege, vom Heiligen Geist erfüllt zu werden und aus diesem Geist heraus zu leben. Eine kontemplative Lebensweise und das kontemplative Gebet führen zu jener Ergriffenheit und BeGEISTerung, die unser Engagement für Gerechtigkeit, Frieden und den Schutz der Schöpfung lebendig macht, anstatt es zu einer geistlosen Hülle verkommen zu lassen. Die Kontemplation ist umso vollkommener, je mehr der Mensch die Wirkung der göttlichen Gnade in sich verspürt, oder auch je besser er versteht, Gott in den äußeren Geschöpfen zu begegnen.“ [LS 160]
Ist es nicht so, dass wir das Gebet manchmal auch deshalb vernachlässigen, weil wir keinen greifbaren Beweis für die Wirkung erhalten? Selbst die Naturwissenschaften erkennen mittlerweile, dass den Menschen nur ein winziger Ausschnitt des tatsächlich Existierenden zugänglich ist. Die Tatsache, dass wir die Wirkung von Gebet und Kontemplation nicht mit unseren Sinnen erfassen können, bedeutet aber keineswegs, dass sie wirkungslos sind. Vieles deutet darauf hin, dass das Gebet ein mächtiges Werkzeug im Einsatz für eine friedlichere, gerechtere und lebenswerte Welt ist. Ich wage zu behaupten: Wenn wir die Bedeutung und die Kraft von Gebet und Kontemplation in ihrer gesamten Dimension verstehen würden, könnten wir gar nicht mehr anders, als in die Stille zu gehen und zu beten.
2. AKTION
Meistens sind es Krisen, die uns für Veränderung offen machen. Doch erst das kontemplative Leben macht eine tiefgreifende innere Transformation möglich. Was Jesus, Franz von Assisi und Papst Franziskus verbindet, ist der Aufruf zur inneren Umkehr. Die christliche Spiritualität bietet ein alternatives Verständnis von Lebensqualität und ermutigt zu einem prophetischen und kontemplativen Lebensstil, der in der Lage ist, tiefste Freude zu empfinden. Die Fülle unserer Möglichkeiten in unserer modernen Welt führt uns in eine krankmachende Leere. Und weil der Erwerb weit lustbetonter ist als der Besitz, können wir aus der Negativspirale der ökonomischen Abhängigkeit nur dann entrinnen, wenn wir uns bewusst für unsere ganz persönliche Metanoia (gr. Umkehr) und für den Weg des freudvollen Verzichts entscheiden.
Innere Umkehr und das Aufschwingen unseres Bewusstseins wird an unseren Aktionen sichtbar. Der Dreh- und Angelpunkt unserer Lebensweise sind die Entscheidungen, die wir tagtäglich treffen. Die bewusste Auswahl, was und wo wir einkaufen, wie wir von A nach B kommen, wie wir unseren Mitmenschen dienen, wie wir unsere Urlaube planen oder für welche politischen Kräfte wir uns entscheiden, sind die Taten und Werke, mit denen wir uns entweder für oder gegen Gerechtigkeit, den Frieden und den Schutz der Schöpfung aussprechen.
3. MISSION
Jeder von uns hat die Möglichkeit, die Welt zumindest ein klein wenig mitzugestalten. Das tun wir zunächst durch die Art und Weise, wie wir leben und wie wir Entscheidungen treffen (2. Aktion). Wir sind aber auch aufgerufen, die zutiefst zeitgemäßen Botschaften des Evangeliums als missionarische Jünger [EG, 120] zu verkünden. Wir kennen den Bericht über Jesus, der seine Jünger auf Mission aussendet (vgl. Mk 6,7-13). Er gebot ihnen, außer einem Wanderstab nichts auf den Weg mitzunehmen: kein Brot, keine Vorratstasche, kein Geld im Gürtel, kein zweites Hemd und an den Füßen nur Sandalen.
Wir sollten an dieser Stelle kurz innehalten. Die Jünger werden gemeinsam ausgesandt, mit nichts als dem Nötigsten im Gepäck. Ist es nicht genau dieses Bild, das auch uns heute direkt anspricht? Sind nicht WIR diejenigen, die hinausgehen sollen, um der Welt zu verkünden, dass es eine strahlende Vision gibt? Eine Vision von einer Zukunft, in der Menschen und alles Geschaffene in tiefer, kosmischer Verbundenheit als Brüder und Schwestern zusammenleben. Eine paradiesische Vorstellung, die mehr als nur eine Hoffnung ist – sie ist ein Weg, den uns bereits jemand gezeigt hat.
Lasst uns die Strukturen, die uns umgeben – Familie, Freundeskreis, Pfarrgemeinde, Firma oder politische Vereinigungen – nutzen. Nicht nur, um Mitfahrende zu sein, sondern um die Fahrtroute aktiv mitzubestimmen. Mit anderen Worten: Werden wir zu "Influencern" für mehr Gerechtigkeit, für Frieden und für den Schutz der Schöpfung, zunächst mit unseren Taten und wenn es sein muss, auch mit unseren Worten - niemals moralisierend oder belehrend, vielmehr mit Bildern und Geschichten. Es scheint mir als Gebot der Stunde, mit Mut, Demut und Sanftmut umzukehren und aufzustehen, um Licht zu sein im Dunkel dieser Tage.
Legende:
LS = Enzyklika Papst Franziskus "Laudato Si"
EG = Enzyklika Papst Franziskus "Evangelii Gaudium"
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